Wie die Prägung deines Nervensystems deine Beziehungen beeinflusst
Die Bindungserfahrungen unserer frühesten Lebensphase prägen unser Nervensystem bereits in den ersten Lebensmonaten/-jahren und haben somit großen Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, die wir später in unserem Leben führen werden. Eine sichere Bindung zu unseren Eltern bzw. Fürsorgern ist der Grundstein für ein ausgeglichenes Nervensystem und gesunde, nährende Beziehungen in späteren Lebensabschnitten. Etwas ganz Wesentliches, was neben dem Ernährt-Werden, Gewärmt-Werden, Beschützt-Werden, von der Bezugsperson für das Baby erwirkt wird, ist die sogenannte Co-Regulation. Ein kleines Baby ist noch nicht in der Lage sich selbst zu beruhigen, genauso wenig, wie es in der Lage ist sich selbst zu ernähren, sich zu wärmen oder sich von einer Gefahrenquelle wegzubewegen. Das bedeutet, ein frühkindlicher Organismus erfährt immer wieder Stress, wenn es darum geht Bedürfnisse wie Hunger, Schmerzstillung oder auch Wärme, Zuneigung, Verbindung und Geborgenheit erfüllt zu bekommen. Dieser Stress, der dabei entsteht, wird durch die Bindungsperson gelindert, sozusagen reguliert. Das Einwirken der Bindungsperson auf das Baby reguliert das Nervensystem des Babys wieder herunter, aus dem Stress heraus, in Entspannung und angenehme Gefühle. Wenn ein Kind nicht von der Bezugsperson reguliert, also beruhigt wird, dann bleibt es alleine im Stress stecken. Das zeigt wiederum, wie wichtig die Co-Regulation der Bezugsperson für die Entwicklung des Babys ist und wie sehr angewiesen ein kleines Kind auf eine Bezugsperson ist.
Erfolgt diese Co-Regulation und emotionale Einstimmung durch die Bindungsperson nicht, können sich verschiedene Störungen im Bindungsverhalten des Kindes entwickeln.
Wodurch entwickeln sich Traumatisierungen im Bindungsverhalten?
Wenn nun also bei der emotionalen Einstimmung durch die Bindungspersonen bzw. die Co-Regulation mit dem Baby etwas schiefgeht, dann hat das zur Folge, dass das Baby aufgrund der fehlenden Co-Regulation durch den Erwachsenen auf lange Sicht auch keine gute Selbstregulation für sich selbst erlernen kann. Doch wodurch genau erfolgt Co-Regulation und die emotionale Einstimmung auf das Baby eigentlich? Im Grunde genommen durch das kontinuierliche, feinfühlige Erkennen und Erfüllen der Bedürfnisse des Säuglings. Das können beispielsweise der Wunsch nach Körperkontakt oder Berührung, nach Halt oder Beruhigung, aber auch nach Anregung bzw. Erregung in Form von Spiel sein. Gelingt es den Bezugspersonen erfolgreich auf diese Bedürfnisse des Babies einzugehen, dann wird sich das Kind geborgen und geschützt im eigenen Erleben, ja in Sicherheit, fühlen. Gerät es, zum Beispiel, wenn es sich weh tut, einmal in Stress, dann werden die Erwachsenen es in seiner Regulation unterstützen, indem sie sich liebevoll auf den Schmerz des Kindes einstimmen. Das ist natürlich das ideale Szenario. Du wirst dir denken können, dass in unserer heutigen Gesellschaft einige Faktoren dazu beitragen, dass es Eltern nicht immer gelingt feinfühlig mit dem eigenen Kind zu interagieren, geschweige denn für alle oben beschriebenen Faktoren zu sorgen. Das führt wiederum dazu, dass in vielen Fällen die Grundbedürfnisse des Babys nicht erfüllt werden und die vermeintlich gesunde, stabile Bindung zur Bezugsperson sich transformiert. Passieren kann das, wenn das Kind in seiner Not allein gelassen wird, wenn keine feinfühlige, sondern aggressive Kommunikation stattfindet, fehlende Beruhigung in Stressstiuationen durch die Bindungsperson usw. Du ahnst, es gibt viele Szenarien, die dazu führen, dass ein Kind sich in seiner Bindung nicht vollständig sicher fühlt, vor allem dann nicht, wenn ein Elternteil vielleicht unberechenbar ist oder sogar bedrohlich. Manchmal wird eine Bindungstraumatisierung der Babys auch von außen herbeigeführt, wenn beispielsweise Mutter und Kind nach der Geburt aus verschiedenen Gründen über Nacht getrennt werden, vielleicht aufgrund von Krankheiten oder medizinischen Maßnahmen, die getroffen werden müssen. All diese frühkindlichen Erfahrungen wirken sich auf das Bindungserleben und das Sicherheitsempfinden des Babys aus.
Fehlende Selbstregulationsfähigkeit – die Konsequenzen
Wie ich oben bereits schrieb, wenn wir in unserer frühesten Kindheit keine zuverlässige Co-Regulation stattgefunden hat und unsere Fürsorger sich nicht feinfühlig auf uns eingestimmt haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir auf der Bindungsebene traumatisiert wurden und unsere Fähigkeit zur Selbstregulation ist nur sehr spärlich entwickelt. Noch einmal einfach auf den Punkt gebracht: Je besser unsere Bindungspersonen dazu in der Lage waren uns zu umsorgen und sich generell emotional auf uns einzustimmen, desto besser können wir uns heute aus stressigen Situationen aus eigener Kraft hinaus bewegen, uns selbst beruhigen und ein Gefühl einer gewissen Grundsicherheit in unserem Leben kultivieren. Uns fällt es dann also leichter Resilienz und Stabilität zu entwickeln, um Stress gegenüber resistenter zu werden. Wenn jedoch eben diese Fähigkeit zur Selbstregulation nur sehr gering ausgebildet ist, dann befindet sich auch unsere Stresstoleranz auf einem niedrigen Niveau, sodass wir auch als Erwachsene auf Co-Regulatoren angewiesen sind, die wir oftmals auf ungesunde Art und Weise in unseren BeziehungspartnerInnen suchen. Das führt wiederum dazu, dass manche Menschen sich in (emotionale) Abhängigkeiten begeben, um Co-Regulation durch andere Menschen oder Verhaltensweisen zu erhalten. Je geringer die eigene Fähigkeit zur Selbstregulation, desto mehr Strategien muss ein Mensch entwickeln, um den eigenen Stress zu regulieren. Diese nicht-menschlichen Regulatoren können zur Entstehung von Süchten führen, wenn Substanzen oder Verhaltensweisen als Co-Regulatoren verwendet werden: Zigaretten, Alkohol, Fernsehen, Sex, Arbeit usw. sollen dazu dienen, nicht in eine unangenehme emotionale Gefühlslage zu kommen bzw. sollen das Nervensystem „entspannen“. Dabei handelt es sich bei ihnen lediglich um Ablenkung von sich selbst. Deine fehlende Selbstregulationsfähigkeit hat ebenfalls große Auswirkungen auf dein Bindungsverhalten und deine Fähigkeit dich zu binden als Erwachsener. Manchmal äußert es sich in Form von Hin- und Hergerissen-Sein zwischen dem Führen einer Beziehung und dem Wunsch nach Unabhängigkeit, dem Bedürfnis nach Nähe und gleichzeitig der unterschwelligen Angst, vor dem Verlust des Partners, klammerndem Verhalten in Beziehungen und gleichzeitig hohem Unabhängigkeitsbedürfnis.
In welcher Form unsere fehlende Selbstregulation und unser Nervensystem unsere Beziehungen beeinflusst, zeigen uns am deutlichsten die 4 Bindungsstile, wie sie John Bowlby in seiner Bindungstheorie erstmals beschrieben hat.
Ängstlicher Bindungsstil
Für Erwachsene mit dem ängstlichen Bindungsstil, ist der Partner oftmals die „bessere Hälfte“. Der Gedanke an ein Leben ohne den Partner oder grundsätzlich an ein Leben allein, führt zu großer Angst. Dieser Bindungsstil ist durch ein negatives Selbstbild, jedoch einen sehr positiven Blick auf Andere geprägt. Menschen mit ängstlichem Bindungsstil suchen Bestätigung und Unterstützung von ihren Partnern. Häufig plagt sie die Angst, dass die Partner nicht genauso verliebt oder involviert ist, wie sie selbst, was wiederum zu einer starken Verlustangst führen kann. Die Partner dienen als Co-Regulator, sodass deren Bestätigung und Nähe, als Heilmittel für die Angst dienen. Fehlt jedoch Intimität oder Unterstützung aus irgendeinem Grund, verhalten sich Personen mit einem ängstlichen Bindungsstil plötzlich noch anhänglicher und fordernder, als ohnehin schon.
Gleichgültig vermeidender / abweisender Bindungsstil
Der vermeidende / abweisende Bindungstyp sieht sich selbst oftmals als „Einzelgänger“: stark, unabhängig & selbständig. Sie haben häufig eine hohe Selbstachtung und ein sehr positives Selbstbild. Die Auffassung, dass sie nicht in Beziehung sein müssen, um sich vollständig zu fühlen, ist bei Menschen mit vermeidendem Bindungsstil weitläufig verbreitet. Sie wollen sich weder auf Andere verlassen, noch, dass Andere von ihnen in irgendeiner Form abhängig sind. Ebenfalls vermeiden sie es Unterstützung oder Bestätigung innerhalb sozialer Kontakte zu suchen. Grundsätzlich ist das Vermeiden von emotionaler Nähe sowie das Unterdrücken bzw. Verstecken der eigenen Gefühle ein Merkmal dieses Bindungsstils.
Desorganisierter / ängstlich vermeidender Bindungsstil
Der desorganisierte Bindungstyp neigt zu instabilem und doppeldeutigem Verhalten in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen. Für Erwachsene mit diesem Bindungsstil sind oftmals die Partner gleichzeitig Quelle von Begehren und Angst. Ängstlich vermeidende Menschen sehnen sich nach Intimität und Nähe, aber zur gleichen Zeit, fällt es ihnen ausgesprochen schwer anderen Menschen zu vertrauen und sich auf Andere zu verlassen. Aus Angst verletzt zu werden, vermeiden sie enge emotionale Bindungen. Außerdem haben sie Schwierigkeiten ihre Emotionen selbst zu regulieren und greifen deshalb oft auf Kompensationsstrategien zurück.
Sicherer Bindungsstil
Die drei vorangegangenen Bindungsstile lassen sich durch unsicheres Bindungsverhalten charakterisieren, das heißt den betroffenen Menschen fällt es schwer gesunde Beziehungen zu führen. Im Gegensatz dazu, können Personen mit einem sicheren Bindungsstil ihre Gefühle offen und ohne Unbehagen ausdrücken, sie können sich auf ihre Partner verlassen und umgekehrt ihre Partner können sich auf sie verlassen. Beziehungen von Menschen mit sicherem Bindungsstil basieren auf Ehrlichkeit, Toleranz und emotionaler Verbundenheit. Personen mit sicherem Bindungsstil genießen es in ihrer Beziehung zu sein, haben aber trotzdem keine Angst davor Zeit allein zu verbringen. Außerdem sind sie nicht von der Bestätigung ihrer Partner abhängig, sondern haben ein positives Selbstbild.
Welcher Bindungsstil bist du?
Natürlich können sich die einzelnen Bindungsstile auch überschneiden und ein Mensch kann Tendenzen von mehreren oder sogar allen Bindungsstilen in sich vereinen. Falls du dich in einem der unsicheren Bindungsstile wiedererkennst, dann ist dein Bindungsverhalten höchstwahrscheinlich auf der ein oder anderen Ebene durch deine Erfahrungen aus frühester Kindheit beeinträchtigt. Die Wurzel dafür liegt in deinem Nervensystem, welches basierend auf Erfahrungswerten die Welt grundsätzlich für einen eher unsicheren Ort hält. Aufgrund der vielleicht fehlenden Co-Regulation konnte es dir also nicht gelingen eine solide Selbstregulation zu erlernen, die dir Vertrauen und Selbstvertrauen mit auf den Lebensweg gibt. Die Gute Nachricht ist, dass du deine Selbstregulation auch als Erwachsener noch verbessern bzw. erlernen kannst. In meinen 1:1 Somatisches Coaching Sessions arbeiten wir mit Körperübungen genau darauf hin. Das klingt für dich interessant? Dann schau mal auf meiner Angebotsseite vorbei.